Rhein-Neckar-Zeitung vom 19.8.2002
 
"Schmuckstück der Stadt nicht einfach nehmen lassen"
 
Leserbrief von Gerhard Kaiser
Zum Thema Bergbahn: Vor 27 Jahren, als ich von Berufs wegen in diese Gegend kam, habe ich mich bewusst für Heidelberg als Wohnsitz entschieden, weil mir diese Stadt von einem Freund als schönste und liebens-werteste weit und breit geschildert wurde. Der Freund hatte recht, und Heidelberg ist mir zur Heimat geworden.
Heidelberg, für dessen menschliches Antlitz und liebenswerte Unmoderne ich mich in diesen Jahren auch in verschiedenen Vereinen engagiert habe. Heidelberg, das vor allem in den ersten "meiner" 27 Jahre manche Wunde städtebaulicher Überheblichkeit geschlagen bekam. Heidelberg mit seiner Bergbahn, deren oberer Teil einer der seltenen Glücksfälle einer Übereinstimmung von Bedarfsdeckung, nostalgischen Technik-Erlebens und anscheinend auch von Wirtschaftlichkeit ist.
Ich habe in meiner Heidelberger Zeit viele Abriss-, Umbau-, Neubau-Planungen und auch -Realisierungen gesehen und immer wieder den Verlust der Einmaligkeit, das Aufgehen der Stadt in der Masse der gesichts-losen Städte bedauert. Und jetzt soll die Bergbahn (der obere, der eigentlich schöne Teil) daran glauben? Die gemütlichen Holzwagen mit ihrem heimeligen Geknarre und Geächze, mit dem charakteristischen Rumpeln, Stoßen und Schaukeln sollen seelenlosen Kunststoffgehäusen weichen, deren Erlebniswert nicht über den einer Aufstiegshilfe hinauskommt? Wird demnächst das Heidelberger Schloss einer Tourismus-Veranstaltungs-halle weichen müssen?
Natürlich kann man das Argument mangelnder Sicherheit nicht vernachlässigen. Aber wurde nicht erst vor zwei Jahren auf diesem Gebiet kräftig nachgerüstet? Kann man die Verhältnisse auf der Kapruner Bahn, deren Unglück wohl der Auslöser für den Heidelberger Stilllegungs-Schock war, auf unsere Bergbahn übertragen? Ist die Bergbahn mit einem Mal unsicher geworden oder haben nicht vielleicht unsere Experten in ihrem Bemühen, das Leben in ein möglichst lückenloses und europaweites Normenkorsett zu zwängen, hier noch ein Tätigkeitsfeld gesehen? Man denke nur an französischen Rohmilchkäse, der auch nach jahrhundertelangem Gebrauch kraft europäischer Normung und Vereinheitlichung über Nacht lebensgefährlich wurde...
Wollte man das hier an den Tag gelegte Sicherheitsdenken als Maßstab nehmen, müsste man ja sofort alle Straßenbahnen stilllegen und vor allem jeglichen Autoverkehr verbieten, der trotz aller Sicherheitsvorkehrungen auch im 95. Jahr des unfallfreien (?) Bestehens der oberen Bergbahn allein in Deutschland nachweislich Tausende von Todesopfern fordert.
Es sind in den letzten Tagen in Ihrem Blatt viele Argumente für den Erhalt der Bergbahn in ihrer jetzigen Form genannt worden. Bei all dem technischen Hin und Her sollte auch der Stimmungsgehalt dieses Relikts aus der "guten alten Zeit" nicht unbewertet bleiben. Die Heidelberger sollten sich dieses Schmuckstück ihrer Stadt nicht einfach nehmen lassen!
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