Rhein-Neckar-Zeitung vom 13.8.2002
 
Wenn das Seil reißt, stoppt die Bahn
 
Ein Unfall der Bergbahn am Königstuhl - Der heute 87-jährige Heinrich Vogel hat das 1953 erlebt
Von Kirsten Baumbusch
"Es wäre Unsinn, die alten Bergbahnwagen auszutauschen." Wenn der 87-jährige Heinrich Vogel das sagt, dann hat das Gewicht. Schließlich saßen er und seine Frau im September 1953 in der Bahn, als das Seil riss. Passiert ist nichts. "Die Sicherheitssysteme haben funktioniert", erzählt der in Kirchheim lebende Senior. Es war in jenen noch etwas mageren fünfziger Jahren, als auch in Heidelberg das Geld noch nicht so locker saß. Die Familie Vogel hatte damals noch kein Auto. Nur ein Motorrad nannte Heinrich Vogel sein Eigen. Für einen Ausflug war der Königstuhl ein lohnendes Ziel. Zum Kaffeetrinken hoch, ein kleiner Spaziergang, und dann wieder zurück. So lautete der Plan. Der ging auch glatt, bis die Vogels am Nachmittag wieder gen Tal fahren wollten.
Die nostalgischen Holzwagen knarrten und knarzten wie immer. Etwa 200 Meter unterhalb, so erzählte der rüstige Heinrich Vogel gestern im RNZ-Gespräch, gab es auf einmal einen lauten Knall. "Wir waren alle unheimlich erschrocken", erinnert sich das Heidelberger Urgestein. Auch ihm fuhr der Schreck mächtig in die Glieder. Denn der damals 38-Jährige sah von seinem Standplatz auf der hinteren Plattform, wie mit einem Mal das Seil der Bergbahn in Schlangenlinien nach oben "schnalzte".
Vermutlich war es direkt unter dem Wagen gerissen und mit Karacho gegen den Boden der Holzbahn geknallt. Was ihm damals durch den Kopf schoss, daran erinnert er sich heute nicht mehr so ganz genau. Aber dass die Bergbahn noch etwa 15 bis 20 Meter nach unten rutschte, "ohne Ruckeln", sagt er, und dann stehen blieb, das weiß er noch ganz genau. "Die Schienenbremse hatte sich geschlossen", erklärte Vogel sich damals den Vorgang und ergänzt, "es war unheimlich tröstlich, dass das funktionierte."
Beängstigend für die Insassen der voll besetzten Bahn war allerdings die große, schwarze Rauchwolke, die sich um den Wagen erhob. Vogel erklärt sich das heute mit irgendwelchem Maschinen- oder Schienenfett, das bei dem Bremsmanöver wohl verkokelt ist. Die Türen gingen problemlos auf, und die Bergbahnfahrer strömten nach draußen.
Anders als heute gab es neben der Trasse aber noch keine Treppen, sondern nur ein Schotterbett. Mühsam kraxelten die Gestrandeten nach oben, vorbei am ausgefransten Seilende, zur Bergstation. Dort erwartete sie der erschrockene Maschinist, der von oben die Vorgänge mit Entsetzen beobachtet hatte. "Es kommt gleich jemand von der Straßen- und Bergbahn", versuchte er zu beruhigen. "Da kam dann auch jemand", bestätigt Vogel.
Nur der versprochene Bus, der ließ auf sich warten. Als nach über einer Stunde noch immer kein Gefährt die Bergbahnfahrer abholte, ergriff Heinrich Vogel die Initiative und führte die Truppe ins Tal. Benutzt wurde der schnellste Weg, die Himmelsleiter. An der Molkenkur wollte Heinrich Vogel eigentlich wieder in die Bergbahn steigen. "Schließlich hatten wir ja eine Fahrkarte", sagt er schmunzelnd.
Doch seine Frau war nicht dazu zu bewegen, noch einmal eine Bergbahn zu besteigen. Das hat sie übrigens bis an ihr Lebensende so gehalten. Auch Heinrich Vogel hat die Bergbahn nie wieder benutzt. Das aber eher aus Zufall. Angst hat er nämlich keine.
"Schließlich ist ja nichts passiert, die Sicherheit bei der Bergbahn ist gegeben." Er findet es tröstlich, dass "die Karre" sogar stehen bleibt, wenn das Seil reißt. Auf die Freifahrt, die ihm als Trost damals in der Bergstation versprochen wurde, wartet er freilich noch heute.
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