|
|
|
|
|
Gewichtige
Damen legten die Nerobergbahn lahm |
|
Seit
114 Jahren mit Wasser den Berg hinauf / Folge 4 |
Vom
5.10.2002 |
|
Von unserer
Mitarbeiterin Angelika Beyreuther-Raimondi |
|
Sie kennen
natürlich die Nerobergbahn! Und sind sicher schon mal mit ihr gefahren!
Wussten Sie, dass sie schon seit über 100 Jahren fährt? Dass ihre
Antriebs- und Sicherheitstechnik unverändert ist? Und dass sie immer
perfekt funktioniert hat? Ja, sie rumpelt seit 114 Jahren mit der Geschwindigkeit
von 6,78 Stundenkilometern den 245 Meter hohen Neroberg hinauf und herunter.
Im "Dreikaiserjahr" ist die kleine Bahnstrecke eröffnet worden:
am 25. September 1888 um 10Uhr. |
|
Es war
der Herbst eines ereignisreichen Jahres, das als "Dreikaiserjahr"
deshalb in Erinnerung blieb, weil es in diesem Jahr tatsächlich drei
Kaiser gab. Wilhelm I., der 1866 als König von Preußen auch Wiesbadens
Landesherr geworden war, starb 1888 im Alter von 91 Jahren. Sein Sohn Friedrich
III. blieb nur 99 Tage an der Macht, ehe er am 15. Juni 1888 an Krebs verstarb.
Es folgte Kaiser Wilhelm II., dessen Vorliebe für Wiesbaden der Weltkurstadt
zur glanzvollsten Epoche ihrer Geschichte verhalf. |
|
In diesem
Jahr ist also die 440 Meter lange Bahnstrecke eröffnet worden. Die
Bahn muss einen Höhenunterschied von 83 Metern bei einer Steigung von
bis zu 25 Prozent überwinden. Sie schafft das locker - bei unveränderter
und in Deutschland einzigartiger Technik. Die Nerobergbahn ist eine mit
Wasserenergie betriebene Drahtseil-Zahnstangenbahn. |
|
Das heißt:
Die Wiesbadener und ihre Gäste fahren als einzige in Deutschland mithilfe
von Wasser: Der talwärts fahrende Wagen wird an der Bergstation mit
bis zu 7000 Litern Wasser gefüllt und zieht den anderen Wagen durch
seine Schwerkraft und durch das Ballastwasser, das die Reibungswiderstände
und das Seilgewicht überwinden muss und der Besetzung der Wagen angepasst
wird, bergauf. Die Wassermenge hängt dabei davon ab, wieviele Personen
von der Talstation auf den Berg hinaufgezogen werden wollen. Kommt der talwärts
fahrende Wagen unten an, wird das Wasser abgelassen und wieder bergauf gepumt. |
|
Über
die gesamte Prozedur gibt der Auszug aus der Dienstanweisung vom 15. Jui
1987 für Wagenführer der Nerobergbahn gründlich Aufschluss.
Im Paragraphen 7 heißt es dort unter "Fahrtvorbereitung":
"Ungefähr 5 Minuten vor jeder Fahrt hat der Fahrer des unteren
Wagens die voraussichtiche Zahl seiner Fahrgäste dem Fahrer des oberen
Wagens fernmündlich zu melden und sich von ihm seine Meldung wiederholen
zu lassen, um Irrtümer zu vermeiden. Danach hat der Fahrer des oberen
Wagens diesen mit der zum Betrieb erforderlichen Wassermenge zu füllen
... Das Wasserstandsglas ist in Personeneinheiten geeicht ... Kurz vor der
Abfahrt hat der Fahrer des unteren Wagens die Besetzung in der gleichen
Weise wie vorher die voraussichtliche Besetzung zu melden und der Fahrer
des oberen Wagens hat danach endgültig die Wasserfüllung seines
Wagens zu bemessen." |
|
Nun, überliefert
ist, dass dies nur einmal schief, beziehungsweise nicht schief, sondern
- zunächst erst einmal - gar nicht ging! Was war passiert? Eine größere
Gruppe umfangreicher Damen aus dem Schwäbischen waren - anno dazumal!
- herangereist, um mit der Nerobergbahn zu fahren, deren Maschinen - das
sei festgehalten! - ja schließlich in einer Maschinenfabrik im heimatlichen
Esslingen am Neckar gefertigt worden waren. Die Damen wollten sich das Ganze
also offensichtlich aus der Nähe ansehen, jedoch: Die geeichten "Personeneinheiten"
waren durch die überproportionale Dichte an schwäbischen Schwergewichtlerinnen
sozusagen "aus dem Lot" geraten. Und so setzte sich der Wagen
an der Talstation nicht in Bewegung! Erst das lange Hin- und Herverhandeln
der beiden Zugführer über die "realen" Personeneinheiten,
so heißt es, und die notwendig gewordene vermehrte Wasserzufuhr, setzte
das Bähnchen - sicher zur großen Erleichterung des Damenkränzchens
- in die gewünschte Bewegung bergaufwärts Richtung Neroberg. |
|
Aber, Spaß
beiseite! Die Antriebs- und Sicherheitstechnik war und ist seit 114 Jahren
perfekt. Wichtigster Bestandteil ist - gerade bei Bergbahnen - das Bremssystem.
Bei der Nerobergbahn befindet sich in der Mitte der beiden Gleise eine Zahnstange,
in die die beiden Zahnräder von Vorder- und Hinterachse ständig
eingreifen. Mit einer Spindelbremse, die auf das Zahnrad der unteren Achse
einwirkt, kann der Wagenführer die Geschwindigkeit, die mit 6,78 Stundenkilometern
vorgegeben ist, exakt regulieren. |
|
Das Zahnrad
der oberen Achse wird durch eine Fliehkraftbremse blockiert, falls diese
Geschwindigkeit um etwa 30 Prozent überschritten wird: Dann löst
sich ein Fallgewicht, das den Wagen zum Stehen bringt. Ebenso wirkt die
Notbremse, sobald sich das Seil lockert. Ferner sorgt eine Art "Tote-Mann-Sicherung"
für sofortige Bremsung, wenn der Wagenführer während der
Fahrt die Handbremse loslässt. Ein Nickerchen während der Fahrt
ist also nicht möglich, denn das fällt echt auf! Die Seilverbindung
führt dann dazu, dass auch der andere Wagen automatisch stehen bleibt.
Das die beiden Wagen verbindende Drahtseil ist 451 Meter lang, hat einem
Durchmesser von 25 Millimeter und wiegt 1620 Kilogramm. |
|
Die Stadt
Wiesbaden, in deren Obhut sich die Bahn seit 1925 befindet, nannte zum 75.
Geburtstag der Bahn am 25. September 1963 die Zahl von 7,3 Millionen Fahrgästen,
die seit 1925 mit der Bergbahn gefahren waren. Bis in die siebziger Jahre
benutzten jährlich mehr als zweihunderttausend Menschen das historische
Gefährt. Die Nerobergbahn ist und bleibt Wiesbadens romantisches Wahrzeichen
aus lange vergangenen Zeiten! Sie ist ein ganz funktionstüchtiges Beispiel
Wiesbadener Technikgeschichte! |
|
Und sie
wird den Wiesbadenern und ihren Gästen mit Sicherheit erhalten bleiben.
Das Landesamt für Denkmalpflege Hessen hat die Einstufung der Nerobergbahn
als Kulturdenkmal zu deren hundertjährigen Bestehen im Jahr 1988 vorgenommen:
Dazu gehören die Talstation, die Bergstation, der Gleiskörper,
das Viadukt sowie die beiden Wagen. Das Hessische Denkmalschutzgesetz stellt
ja auch unzweideutig fest, dass zu den schutzwürdigen Kulturdenkmälern
auch solche "aus technischen, technikgeschichtlichen, sozialgeschichtlichen
oder wirtschaftsgeschichtlichen Gründen" gehören. |
|
Nur gut,
dass die Bahn die Abrisseuphorie der Nachkriegszeit überlebt hat, in
der so viele andere - auch technische - Denkmäler dokumentationslos
beseitigt worden sind. |
|
Quelle:
Klaus Kopp hat für die Stadtwerke Wiesbaden über die Nerobergbahn
ein reich illustriertes Buch geschrieben, das zum 100-jährigen Bestehen
der Bergbahn 1988 von den Stadtwerken in einer Auflage von 7000 Exemplaren
verlegt wurde. |
|
(http://www.main-rheiner.de/region/objekt.php3?artikel_id=989212) |
|
|