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Sindelfinger Zeitung / Böblinger Zeitung vom 23.07.2004
Kletterkünstlerin wieder im Dienst
Am Samstag fährt die Seilbahn wieder von Heslach zum Waldfriedhof
Es soll ja Stuttgarter geben, die tatsächlich noch nie mit der Seilbahn gefahren sind. Zugegeben, zuletzt fehlte die Gelegenheit. Nach 74 Jahren Dienst wurde die Kletterkünstlerin überholt. Doch jetzt gibt's keine Ausrede mehr: Am Samstag kehrt die Seilbahn zurück. Und zur Feier des Tages dürfen die Gäste umsonst auf Bergtour gehen.
von Frank Rothfuss
Die Ingenieure waren mit ihrer Kunst hoch zufrieden. Gut, nur eine Stunde nach der Einweihung 1929 hatte der Antrieb verdächtig laut gewackelt, und man musste einen neuen Motor einbauen. Doch seitdem kraxelten die beiden Wagen mühelos zwischen Heslach und dem Waldfriedhof hin und her. Das Prinzip war einfach: Die Wagen hingen an einem Seil, der eine fährt bergab und zieht den anderen bergauf.
Bis im Jahre 1931 plötzlich beide Wagen in ihre Stationen zurückschlichen, die Seilbahn stellte die Arbeit ein - sie hatte Gewichtsprobleme. Ein bekannter Stuttgarter Wirt sollte begraben werden, und in der Talstation drängten die Trauergäste in die Wagen. Einige waren so wohl genährt, dass der Antrieb ächzte. Erst als fünf dicke Passagiere die Bahn verließen, atmete die Seilbahn auf, und die Wagen schnauften voran.
So mancher Stuttgarter hat seine letzte Reise mit der Seilbahn angetreten. Als es noch keine ausgebaute Straße zum Waldfriedhof gab, schwebten die Trauergesellschaften samt Sarg und Kränzen bergauf. So war dem Volksmund der offizielle Begriff Standseilbahn bald zu langweilig, ¸¸Erbschleicherexpress'' taufte er sie oder ¸¸Lustige-Witwen-Bahn''
Gleich wie man sie nennt, zuverlässig zuckelte die von der Maschinenbaufabrik Esslingen gebaute Seilbahn Jahr für Jahr durch den Wald. Um sie zu bremsen, bedurfte es der Gewalt. Während der letzten Kriegsmonate 1945 stand sie still, und 1999 zertrümmerte der Sturm Lothar einen Wagen. Immer wieder kehrte sie zurück, doch 2003 schien das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau sie endgültig zu stoppen. Nach dem Seilbahnunglück von Kaprun befahl es die Sanierung: Die Seilbahn brauchte neue technische Eingeweide, die Stationen mussten aufgefrischt werden. Lange wurde über die Zukunft der Bahn diskutiert, schließlich war sie dem Gemeinderat und den Stuttgarter Straßenbahnen doch drei Millionen Euro wert. Statt ins Museum ging's im November in die Werkstatt.
Die Teakholzwagen wurden geliftet, neue Bremsen, Sicherungstechnik und Steuerung eingebaut; ein neuer Antrieb wurde aus Südtirol angeliefert und in einen Schacht vor der Bergstation montiert; ein nun 35 Millimeter starkes Seil ersetzte das alte um sieben Millimeter dünnere Seil; der Rettungsweg wurde verbreitert; auch Schienen und Schwellen wurden ersetzt.
Nach dieser Kur darf nun gefeiert werden. Am Samstag wird OB Wolfgang Schuster um 11 Uhr in der Talstation die Seilbahn ihm 75. Jahr ihres Bestehens wieder in Betrieb nehmen.
Es gibt Essen und Getränke, Clowns und Zauberer schauen vorbei, die historische Buslinie W pendelt zwischen Degerloch und Waldfriedhof, und von 14 Uhr an lädt der Historiker Gerhard Raff zu Führungen über den Waldfriedhof.
Die Fahrzeiten vom 24. Juli an: Erste Fahrt täglich um 9.10 Uhr, Betrieb alle 20 Minuten. Die letzte Fahrt ist täglich um 17.50 Uhr. Eine einfache Fahrt kostet 1,15 Euro.
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