Stuttgarter Nachrichten vom 07.07.2003
Stuttgart

Seilbahn mit neuer Technik

Stuttgart - Zwei Mal tutet es laut und eilig, dann geht es los.

Der Fahrer drückt einen kleinen orangefarbenen Knopf und das Holzgefährt ruckelt vom Stahlseil gezogen langsam aufwärts. Die beiden rotbraunen Kabinenwagen der Stuttgarter Standseilbahn schaffen im Zwölf-Minuten-Takt ihre 87 Höhenmeter von Stuttgart-Heslach zum Waldfriedhof und zurück - und das seit 74 Jahren.
Im Rentenalter ist die Teakholz-Lady aber noch lange nicht. Doch nach Ansicht der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) könnten ihr ein bisschen Schönheitspflege und moderne Technik nicht schaden. Im November wird deshalb nach dem Willen des Aufsichtsrats der SSB nachgerüstet. Damit sind die Überlegungen von einer Stilllegung der Bergbahn vom Tisch: "Wir sind sehr froh, dass der Weiterbetrieb gesichert ist. Nach sechs bis neun Monaten Umbauphase kann es wieder losgehen", versichert Birte Schaper von den Stuttgarter Straßenbahnen.

Auch Axel Noack ist froh, dass "seine" druckknopfgesteuerte Standseilbahn noch nicht aufs Abstellgleis kommt. Noack ist seit zwei Jahren Fahrer auf dem nostalgischen Transportmittel und legt täglich bis zu 75 Mal die 536 Meter Schienen zurück. Und das mit der erstaunlichen Technik von anno dazumal: Die zwei Teakholzwagen der Bergbahn hängen an den Enden eines gemeinsamen Stahlseils, das auf Rollen zwischen den Schienen läuft.
Die Bahn, die nach unten fährt, zieht mit ihrem Gewicht ihren Gehäusezwilling nach oben. In der Mitte teilen sich die Schienen einen Augenblick, so dass beide Kabinen bequem aneinander vorbeikommen und sich die beiden Fahrer einen kurzen Gruß durch die Glasscheiben zuwinken können. "Mit einem Knopfdruck schicke ich den Abfahrtsbefehl an die Automatik. Die Bahn fährt aber erst los, wenn auch mein Kollege den Abfahrtsbefehl per Knopfdruck bestätigt hat", erklärt Noack.
Im Keller der Bergstation, dem Herzen der Standseilbahn, sind zwei riesige Räder und ein Motor von 1929 dafür verantwortlich, dass es unermüdlich auf und ab geht. Der Antrieb der Seilbahn, die Bremsen und sämtliche elektronische Einrichtungen sollen im Herbst erneuert werden - rotbraunes Teakholzgehäuse, Mahagonisitze und Emailschilder sollen bleiben: High Tech mit Vorkriegscharme. Die Modernisierung wird rund drei Millionen Euro kosten, doch einige Vereine haben dem in die Jahre gekommenen Verkehrsmittel bereits ihre Unterstützung zugesichert. Außerdem soll die Bergbahn statt 14 Stunden nur noch 9 Stunden täglich im Einsatz sein. Das spart jährlich 200.000 Euro.
Nur dreieinhalb Minuten hat die Fahrt nach oben gedauert. Für Noack alles reine Routine. Seit 16 Jahren fährt er bei den SSB alles, was Schienen braucht: Straßenbahnen, Stadtbahnen, die Zahnradbahn - und natürlich die Standseilbahn. In vier Wochen Zusatzausbildung wurde er für alle Notfälle gut gerüstet. "Ich muss die Bahn von Hand fahren können, muss kleinere technische Defekte selbst beheben und im Notfall die Passagiere evakuieren können." Wirklich große Probleme hat es in den 74 Jahren aber nie gegeben.
Einzig und allein die tägliche Endstation ist ein Roulettespiel: wenn Axel Noack um halb neun abends zufällig die Bahn nach oben erwischt, muss er zu Fuß die Strecke zur Talstation zurücklegen. Am Morgen geht es dann per pedes entlang der Strecke wieder bergauf: "Ich kontrolliere dabei, ob das Seil noch in der Führung ist oder ob Zweige auf den Schienen liegen." Ist alles in Ordnung, kann die ehrwürdige Bergbahn wieder am Stahlseil entlang fahren.
 
dpa/lsw
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