Südwest Presse vom 11.3.2003
 
Neue und teure Sicherheitsauflagen gefährden den Weiterbetrieb
 
Stuttgarter kämpfen um ihr altmodisches Bergbähnle
Wegen hoher Sicherheitsauflagen droht der herrlich altmodischen Standseilbahn in Stuttgart-Heslach das Aus. Eine Initiativgruppe und die Benutzer stemmen sich gegen die Stilllegung des 74 Jahre alten technischen Denkmals, das lange Zeit ein Schattendasein geführt hat.
 
RAIMUND WEIBLE
 
Stuttgarter Standseilbahn: Die Wagen sind mit Teakholz verkleidet, die Sitze bestehen aus Mahagoni.
FOTO: KLAUS FRANKE
 
STUTTGART Michael Schmieder gesteht: "Ich hab mich in das Ding verliebt." Seit zwei Jahren chauffiert der 33-Jährige die originellste Bahn im Stuttgarter Nahverkehr: die Standseilbahn in Heslach. Erst bediente der Straßenbahner nur hin und wieder einen der beiden Wagen. Aber bald kam er gegen den Charme der alten Bahntechnik nicht mehr an. Schmieder ließ sich als ständiger Fahrer verpflichten.
 
Keine andere Großstadt in Deutschland verfügt über eine solch eigenartige Bahn wie Stuttgart. Seit 1929 befördern die beiden Wagen die Leute hinauf zum Waldfriedhof. Die einen machen sich auf den Weg, um ein Grab zu pflegen oder eine Beerdigungsfeier zu besuchen, die anderen lassen sich auf die Höhe transportieren, um im Wald spazieren zu gehen. Unweit der Bergstation beginnt der geographische Lehrpfad "Schwäbles-klinge". Nur 536 Meter lang ist die Bahnstrecke. Aber sie überwindet 87 Höhenmeter bei einer maximalen Steigung von 28,2 Prozent. Für Friedhofsbesucher ist die Bahn eine Erleichterung.
 
Doch ob die Bahn noch lange fährt, ist unsicher. Zwar steht sie unter technischem Denkmalschutz und darf nicht demontiert werden. Die Betriebsgenehmigung läuft jedoch Ende Juni aus. Die Landesbergdirektion in Freiburg will den Betrieb einstellen lassen, wenn die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) neue Sicherheits-auflagen nicht erfüllt. Die neuen Anforderungen ergingen nach dem Unfall auf der Gletscherbahn von Kaprun.
 
Die Sanierungskosten schätzt die SSB auf drei Millionen Euro. Da die Standseilbahn jährlich ein Defizit von 900 000 Euro verursacht, stellt sich die Frage, ob sich die hohe Investition lohnt. Heute berät der SSB-Aufsichtsrat das Thema. Über das Wohl und Wehe des Bähnles wolle man aber erst am 16. Juni entscheiden, sagte SSB-Sprecherin Susanne Schupp. Zunächst gehe es darum, die Renovierung der Bahn und die Alternativen zu bewerten.
 
Lange Zeit hat das Bähnle ein Schattendasein geführt, wurde von der Öffentlichkeit und den Tourismuswerbern kaum wahrgenommen. Das hat sich geändert, seit das Aus droht. Die SPD-Fraktion im Gemeinderat forderte, "dass alles Erdenkliche unternommen wird, die Standseilbahn mit ihrem historischen Ambiente zu erhalten". Der Appell erzielte erste Wirkung: Der Technische Ausschuss des Gemeinderats machte sich für die Bahn stark. Der Albverein, der Schwäbische Heimatbund und der Verschönerungsverein der Stadt Stuttgart formierten eine Initiativgruppe, die für den Erhalt des Bähnles kämpft.
 
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